[De]koloniale Migrationen: Aus dem Verborgenen ins Licht der Öffentlichkeit
in Kollaboration mit Contemporary And (C&)
Frist: Verlängert bis 11. Februar 2022
Dekoloniale Erinnerungskultur in der Stadt freut sich, die zweite offene Ausschreibung für die Dekoloniale Berlin Residency 2022 bekannt zu geben. Wir laden Künstler*innen, Architekt*innen, Designer*innen, Schriftsteller*innen und Stadtplaner*innen ein, sich für eine Residency bei Dekoloniale Erinnerungskultur in der Stadt in Berlin zu bewerben. Die Bewerber*innen und sind eingeladen, historische koloniale Schichtungen und dominante Narrative im öffentlichen Raum Berlins aufzudecken und zu transformieren.
Im Jahr 2022 wird sich Dekoloniale Erinnerungskultur in der Stadt auf den Berliner Süden konzentrieren und die Stadtteile Friedrichshain-Kreuzberg, Neukölln und Tempelhof-Schöneberg genauer untersuchen. Wie bereits in der Zeit vor dem Nationalsozialismus (1884-1933) ist dieses Gebiet heute durch eine Vielzahl von internationalen Akteur*innen geprägt, die jedoch trotz ihres bedeutenden Einflusses auf das Gebiet weder im kollektiven Gedächtnis verankert, noch im öffentlichen Raum sichtbar sind.
Ein Beispiel für die Verschleierung der lokalen Erinnerungskultur ist der Gedenkstein auf dem Garnisonfriedhof in Neukölln, der sieben deutsche Soldaten verherrlicht, die von 1904 - 08 am Völkermord an den Ovaherero und Namas beteiligt waren. Erst nach jahrelangem Protest von zivilgesellschaftlichen Gruppen wurde eine zweite kleine Gedenktafel angebracht, die an die Opfer erinnert, allerdings ohne jegliche Erwähnung der Ovaherero und Namas, ihrer Größe oder des Völkermords selbst.
Gleichzeitig waren die südlichen Bezirke Friedrichshain-Kreuzberg und Neukölln Vorreiter bei der Umbenennung kolonialer Straßennamen [May-Ayim Ufer (ehemals Groebenufer) 2009, Lucy-Lameck Str. (ehemals Wissmannstr.) 2021, Audre Lorde Str. (derzeit Manteuffelstr.) 2022].
Dekoloniale möchte diesen einsetzenden Wandel fördern, unterstützen und durchsetzen und eine Erinnerungskultur in der Stadt implementieren, die antikoloniale und antirassistische Widerstandskämpfer*innen ehrt und sichtbar macht und ihre Nachkommen und angehörigen Gemeinschaften heute stärkt.
Mit der Berlin Residency 2022 wollen wir biografische Präsenzen im Süden Berlins aufdecken, ihre Existenzen im öffentlichen Raum sichtbar machen und ihren Widerstand, ihr Erbe und ihr Schaffen beleuchten.
Konkret werden 2022 bisher verborgene Biografien aus dem Kontext der kolonialen Migration (1884-1919) sowie deren zeitgenössischen Entsprechungen in den Mittelpunkt gerückt. Unsere theoretische Leitperspektive ist Stuart Halls konstruktivistischer Ansatz zur Repräsentation: Wir betrachten unsere drei eingeladenen Künstler als engagierte soziale Akteure, die die konzeptionellen Systeme ihrer jeweiligen (Gegen-)Kulturen und die von ihnen gewählten sprachlichen und anderen Repräsentationsmethoden als Systeme nutzen, um Bedeutung zu konstruieren, diese Biografien und ihre Praktiken zweckmäßig zu gestalten und Anderen in der öffentlichen Sphäre sinnvoll darüber zu kommunizieren.
Wie im vergangenen Jahr laden wir drei Künstler*innen ein, die Sommermonate 2022 hier in Berlin zu verbringen. Jede*r von ihnen wird an ihren*seinen vorgeschlagenen Projekten arbeiten, wie in der untenstehenden Liste beschrieben, und sich als Team zusammenschließen und zusammenarbeiten.
Die drei Stellen sind:
Dekoloniale Communication Design Residency (Kommunikationssdesign-Residenz)
Wie können bisher unsichtbar gemachte Biografien öffentlichkeitswirksam präsentiert und gleichzeitig in ihre jeweiligen historischen Bezüge eingebettet werden? Bewerben Sie sich für die Dekoloniale Design Residency mit einem Vorschlag, der eine der exemplarischen Biografien aus dem Anhang wirkungsvoll inszeniert. Ziel der Dekoloniale Design Residency ist es, eine Kampagne für das Stadtbild zu entwickeln, die während des Dekoloniale Festivals 2022 vorgestellt wird. Insgesamt 12-15 Biografien werden so an historischen Orten im Rahmen des Dekoloniale Festivals präsentiert.
Dekoloniale Writing Residency (Schreibresidenz)
Wie können die Fragmente des verlorenen Theaterstücks / der Revue »Sonnenaufgang im Morgenland« (Autor und Regisseur: Bebe Mpessa alias Louis Brody, 1930) in einer kollaborativen und zeitgenössischen Form neu erfunden werden?
»Im Dezember 1930 wurde im Kliems-Ballsaal in Berlin-Neukölln eine bemerkenswerte Theateraufführung eröffnet. Inspiriert von Schwarzen Theaterproduktionen in den USA und in Paris, wurde die Revue »Sonnenaufgang im Morgenland« von Mitgliedern der vielfältigen Schwarzen Bevölkerung der Stadt inszeniert. Die Revue, die von dem erfahrenen kamerunischen Schauspieler Bebe Mpessa (besser bekannt als Louis Brody) geschrieben wurde und in der er auch die Hauptrolle spielte, sollte die afrikanische Geschichte feiern und eine Live-Jazzband präsentieren. Die Inszenierung trägt dazu bei, die transnationalen Verbindungen, in denen Schwarze Deutsche aktiv waren, deutlich zu machen. »Sonnenaufgang im Morgenland« kann sowohl als Ausdruck einer im Entstehen begriffenen diasporischen Identität als auch als Widerstand gesehen werden - als Widerstand gegen hegemoniale »Rassen«stereotype und gegen die rechtsgerichtete Ablehnung Schwarzer Künstler*innen und Schwarzer Kulturformen im späten Weimarer Deutschland.«
Dekoloniale Writing Residency
How can the fragments of the lost theater piece / revue “Sonnenaufgang imMorgenland” (»Sunrise in Morningland«) (authored and directed by Bebe Mpessa aka Louis Brody, 1930) be reimagined in a collaborative and contemporary form?
»In December 1930 a remarkable theater show opened in Kliems-Ballroom in Berlin, Neukölln. Inspired by Black theatrical productions in the US and in Paris, the revue ›Sonnenaufgang im Morgenland‹ (Sunrise in Morningland) was staged by members of the city’s diverse Black population. Written by, and also starring, the experienced Cameroonian actor Bebe Mpessa (better known as Louis Brody), the revue was reported to celebrate African history and to feature a live jazz band. Its staging helps to make evident the transnational connections in which Black Germans were active. Sunrise in Morningland can be seen as both an expression of a diasporic identity in the making as well as one of resistance—resistance against hegemonic stereotypes of race as well as a right-wing backlash against Black performers and Black cultural forms in late Weimar Germany.«
Bewerben Sie sich für die Dekoloniale Writing Residency mit einem Schreibvorschlag, der dieses historische Thema recherchiert und thematisiert und es mit der Gegenwart verknüpft und einbettet. Ziel der Dekoloniale Writing Residency ist es, eine Veranstaltung in den Überbleibseln des Kliems-Ballsaals während des Dekoloniale Festivals 2022 zu kuratieren. Der Schreibprozess wird strukturiert und begleitet von einem partizipativen Workshop mit Berliner Community-Mitgliedern, die sich bereits mit dem Stück, seinen Bedeutungen, Kontexten und Auswirkungen beschäftigt haben.
Dekoloniale Architecture Residency
Wie können Biografien und Objekte kreativ, modular und mobil im öffentlichen Raum ausgestellt werden? Bewerben Sie sich für die Dekoloniale Architecture Residency mit einem Entwurfsvorschlag für eine temporäre mobile Struktur, die leicht transportiert, aufgebaut, montiert und im Stadtbild Europas und Afrikas aufgestellt werden kann. Ziel der Dekoloniale Design Residency ist es, einen realisierbaren Entwurf für eine mobile Ausstellungseinheit zu entwickeln, die aus witterungsbeständigen Standardmaterialien gebaut und baugenehmigungsfähig sein soll. Ein Prototyp oder Modell sowie die dazugehörigen Open-Source-Architekturpläne sollen während des Dekoloniale Festivals 2022 präsentiert werden.
Von den drei ausgewählten Residents wird erwartet, dass sie gemeinsam eine künstlerische Intervention im öffentlichen Raum schaffen, und sie werden ermutigt, hybride Formen des Denkens, Forschens und Handelns in Betracht zu ziehen. Wir bevorzugen kollaborative Formate und Ausdrucksformen, die disziplinäre Grenzen erweitern. Alle Muttersprachler*innen sind aufgefordert, sich zu bewerben. Bitte beachten Sie jedoch, dass von den drei Stipendiaten erwartet wird, dass sie in der Lage sind, auf Englisch zu kommunizieren und zusammenzuarbeiten. Die Stipendiaten erhalten Reisekosten, Unterkunft und einen Tagessatz in Berlin während der gesamten Aufenthaltsdauer, ein Produktionsbudget für die Durchführung des Projekts, sowie ein Honorar. Sie haben vollen Zugang zum Dekoloniale-Projektraum, kuratorische Betreuung und Produktionsunterstützung je nach Bedarf und Verfügbarkeit.
Die Vorbereitungen für die Dekoloniale Residency beginnen bereits im März, wenn die aktive Mitarbeit aller Bewohner*innen erforderlich ist, um den offiziellen Genehmigungsprozess für die städtischen Interventionen voranzutreiben. Bitte bewerben Sie sich nur, wenn Sie in den Monaten davor kommunizieren und mitarbeiten können. Die Produktion der Arbeiten in Berlin wird im Zeitraum von Mitte Juni bis Mitte September 2022 stattfinden, mit einer abschließenden öffentlichen Präsentation Ende August / Anfang September 2022 (genaue Daten werden noch bekannt gegeben) im Rahmen des Dekoloniale Festivals 2022.
Wie Sie sich bewerben
Die Bewerber*innen reichen ihre Bewerbung an residency@dekoloniale.de ein:
Ein kurzes Motivationsschreiben (max. 1 Seite)
Eine kurze Beschreibung und Visualisierung der geplanten Arbeit (max. 1 Seite, bitte geben Sie an, ob Sie sich für den Kommunikations-, Schreib- oder Architekturauftrag bewerben)
geschätztes Produktionsbudget
Lebenslauf (max. 2 Seiten)
Portfolio (max. 10 Seiten - 5MB)
Das Bewerbungsverfahren erfolgt vollständig online.
Die Vorschläge werden anhand der folgenden Kriterien bewertet: Ihre Relevanz für die oben beschriebenen Aufgaben, der Beitrag des vorgeschlagenen Projekts zum Bereich der dekolonialen urbanen Praxis, ihr ästhetischer Wert - entweder als Form des Wissens oder als Aspekt des Designs - und ihre Durchführbarkeit.
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Anhang mit Referenzmaterialien zu den Anträgen:
Audre Lorde (1934 - 1992)
http://www.audrelorde-theberlinyears.com/audre.html#.YcCzJH3MJp8
Bebe Mpessa aka Louis Brody (1892-1951)
https://blackcentraleurope.com/biographies/louis-brody-madelyn-bourgoine/
Martin Dibobe (1876 - 1922)
https://www.dw.com/en/german-colonialism-and-the-long-forgotten-dibobe-petition/a-49737470
May Ayim (1960 - 1996)
https://www.aaihs.org/remembering-afro-german-intellectual-may-ayim/
W. E. B. Du Bois (1868 - 1963)
https://africasacountry.com/2020/03/du-bois-in-berlin